Ein Kloster der Moderne
Wie würde ein Kloster aussehen, wenn es in unserer Zeit neu erfunden und gegründet würde?
Mit dieser Frage lässt sich wohl am ehesten das einzigartige Wesen und Wirken des Gebetshauses in Augsburg umschreiben. Dort ist mitten in einem Gewerbegebiet aus einem schnöden ehemaligen Fitnesscenter ein schöner und lebendiger Ort des Gebets entstanden, an dem nunmehr schon seit über sieben Jahren ununterbrochen rund um die Uhr, Tag und Nacht gebetet wird. In zwei Bauabschnitten ist aus dem schlichten Gewerbequader das jetzige Gebäudeensemble gewachsen. In einem ersten Schritt wurde das alte Fitnesscenter zum Gebetshaus umgebaut. Die Raumaufteilung im Inneren wurde neu geordnet und um ein Café erweitert. Durch ein zweites, jüngst abgeschlossenes Bauvorhaben wurde das Gebäude um ein Gästehaus mit sogenannten „Prayer Homes“ und einer Kapelle als Ort der Stille erweitert.
Das Herz des Zentrums bildet der Gebetsraum: „Ein Raum aus Licht, in dem bei Tag und Nacht das Gebet nicht verstummt. In Weiß und warmen Goldtönen gestaltet, strahlt der Gebetsraum etwas Übernatürliches aus. als ob Himmel und Erde sich an diesem Ort begegnen würden. Jeder einzelne Raum wurde einer individuellen Gestaltung unterworfen. So wurde aus einer monotonen in die Jahre gekommenen Gewerbeimmobilie ein vor Kreativität sprühender Ort der Schönheit und Anbetung.
Der Neubau des zweiten Bauabschnitts bildet mit seinen unterschiedlich groß gestaffelten, differenzierten weißen Kuben einen Kontrapunkt zur klaren geometrischen Form des Bestandsgebäudes. Dass moderne Tapeten nicht nur für die Gestaltung von Innenräumen geeignet sind, zeigt die mit einer lebhaften Außentapete gestaltete Fassade dieses Baukörpers.
Die „Prayer Homes“ genannten Gästezimmer in den weißen Kuben ermöglichen das Wohnen auf Zeit. Ähnlich einem Kloster bietet das Gebetshaus seinen Gästen die Opportunität für einen selbst gewählten Zeitraum eine Auszeit aus dem Alltag zu nehmen, um im Gebet und der Kontemplation die Gegenwart Gottes zu suchen. Jedes einzelne „Prayer Home“ hat sein eigenes individuelles Gestaltungsthema. Die Grundlage für die Zimmergestaltung bildeten jeweils die Bilder und Kunstwerke, von denen sich die jeweilige Farbauswahl oft extravagant aber dennoch harmonisch ableitet. Vom rosa, blauen Zimmer mit ausgestopfter Ente über das salbeigrüne, schwarze Zimmer mit den vielen Fenstern bis hin zur sogenannten „Bischofssuite“ in eleganten grau mit Blick in die mächtigen Baumkronen des Gartens, reicht dabei die Bandbreite. Aber nicht nur die Gästezimmer bestechen durch Individualität und teils exotischer Innenarchitektur, auch in den restlichen Gebäudeteilen finden sich immer wieder überraschende und unerwartete Szenarien: So führt der Weg zu den Zimmern beispielsweise durch einen Blumenflur, dessen Boden, Wände und Decke mit floralen Motiven dekoriert ist und so eine Art Blütentunnel bildet.
Dem in helles Gold und Weiß gehüllten Gebetsraum, welcher Tag und Nacht mit lebendigem, lautem Gebet erfüllt ist, steht eine würfelförmige ganz in schwarz gehaltene Kapelle als ein Ort der Stille und Kontemplation entgegen. Dunkle Räuchereiche am Boden zieht sich über das Chorgestühl und über die Wände ringsum als eine einheitliche Fläche durch den gesamten Raum. Zentral im Raum hängt ein großes goldenes Kruzifix und konzentriert die Blicke der Andächtigen auf sich. Lediglich ein schmales Fenster in der obersten Wanddecke lässt einen dünnen Lichtstrahl in den dunklen Raum fallen und fokussiert den Christus am Kreuz. Es braucht Zeit, ein Verweilen, bis das Auge langsam eine freie Struktur auf der schwarzen Wand entdeckt: Filzblüten in dunkelgrau und blau, welche die Stringenz des Raumes durchbrechen und den goldenen Jesus sanft umrahmen. Ein andächtiger Ort, der dem Allerheiligsten gleicht und sich wie ein modern interpretiertes Zitat einer klassischen Kapelle liest.
Den Mittelpunkt des Gebetshauses bildet ein Platz, an dem sich alle internen Wege kreuzen und der zum einen das Foyer zum anderen aber auch ein schickes Café umfasst. Hunderte von Glühbirnen pendeln in unterschiedlichen Höhen von der Decke. Eine endlos lange Theke aus Sichtbeton bildet die klassische Rezeption für die Gäste, diese Theke zieht sich nahtlos durch den gesamten Raum und fungiert so auch als Theke des Cafés. Im Zentrum des Cafés steht ein massiver Eichentisch dekoriert mit bunten Punktleuchten, die den Raum in ein warmes und behagliches Licht tauchen und zu geselligem Verweilen animieren. Die ganze Rückwand des Cafés ist mit Mosaikfliesen der Marke VIA verkleidet und bildet zusammen mit einer davor stehenden langen Sitzbank die Kulisse für kleine Cafétische mit eingelassenen Schirmlämpchen. Ein Ort, der weit entfernt ist von klösterlicher Stille, der jedoch den Rahmen für entspannte Begegnung schafft.
Kaum einmal wird in einer Beschreibung der Architektur eines Gebäudes über die Toiletten berichtet. Schon gar nicht, wenn es sich um einen solchen sakralen Komplex handelt. Beim Gebetshaus Augsburg führt daran jedoch keine Weg vorbei. Zu einzigartig sind diese profanen Orte menschlicher Bedürfnisse in diesem Fall gestaltet. Ist der Vorraum zu den WCs noch in schlichtem betongrau und anthrazitschwarz gehalten, überrascht die Besucher in jeder einzelnen Kabine eine humorvolle, farbenprächtige Ausgestaltung. Diese reicht von den großen Augen einer Milchkuh über ein Camouflage-Muster bis hin zum Renaissancegemälde und weiteren interessanten Motiven.
Das Gebetshaus Augsburg bildet einen einzigartig gestalteten Mikrokosmos, dessen Lebendigkeit sich völlig von den Erwartungen, die der Besucher im Voraus wohl an ein modernes Kloster stellen würde, unterscheidet. Anna Philipp selbst beschreibt die Maxime ihrer Entwürfe so: „Schönheit ist wie ein Ort, den man nicht mehr verlassen möchte.“ Und genau solch ein Ort ist im Gebetshaus in Augsburg entstanden.